Die Verschiebung des Sichtbaren
Gedanken zur Malerei von Christoph Raffetseder
„Die Angst malen, die Willkürlichkeit der Sicht? Warum nicht gleich die Blindheit?“ (Sten Nadolny, Die Entdeckung der Langsamkeit)
Die Malerei von Christoph Raffetseder eröffnet vielfältige Blicke auf die Welt wie wir sie sehen. Seine realistisch gemalten, mittelformatigen Bilder geben Motive wieder, die klar erkennbar sind. Interieurs, Menschen, Tiere sind die zentralen Sujets. Man sieht ein Einblick in eine Toilette, eine gehende Frau, einen schreitender Mann, eine riesige Ameise, – kurz: Christoph Raffetseder gibt alltäglich Wahrgenommenes wieder.
Diese, seine Themen sind uns vertraut, dennoch wirken die Arbeiten aber seltsam befremdlich. Die Ursache dafür findet sich in einer Dekonstruktion der Verweisebenen. Die Eindeutigkeit der Motivik wird mittels formaler Gestaltung durchbrochen. So findet sich ein Repertoire aus Mitteln der Komikzeichnung: Beschränkung auf wenige Farben, Linearität und Flächenhaftigkeit, betonte Perspektive, forcierte Bewegung, reduktive Vereinfachung, extreme Nahsichten, Vergrößerung des Focus, Fragmentierung der Figur. Mit diesen stilistischen Mittel wird ebenso Werbung wie Pop- Art als Wahrnehmungsreferenz avisiert.
Die Ausschnitte aus der täglichen Wahrnehmungswelt werden demnach in einer bereits als artifiziell verstandenen Wahrnehmungsmodalität reproduziert. Ausgangsmaterial dieser Bilderwelt ist nicht Wirklichkeit, sondern bereits die Interpretation von Gesehenem. Als Basismaterial seiner Malerei verwendet Christoph Raffetseder Motive und Formen aus Zeitungen wie Boulevardblättern, die er zum Anlass für eine Umsetzung in traditioneller, malerischer Manier einsetzt. Mit Pinsel und Farbe, dem klassischen Handwerk folgend, persifliert er die Bildsprache der Print-medien und stellt sie in einen neuen Kontext zur Diskussion. Sichtbares wird verschoben, indem ein visueller Bruch mit der primären Lesart des Gesehenen im Bild zur Anschauung gebracht wird und auf einer Metaebene durch die Integration von Schrift ausgeweitet wird. Fragmente aus Textelementen der Popmusik eröffnen gänzlich andere Assoziationsfelder als die bildnerische Thematik vorgibt und bringen ein zusätzlich ironisches Moment ins Bild. Das Bild „He lays all his love on me“ zeigt Reiter und Pferd, “kiss, kiss, kiss” stellt zwei Boxer im Kampf dar, “and I was not really happy and I was not really sad”, sich Umarmende, “and I look, like a soldier an feel like a thief” einen Mann mit Tasche in Rückenansicht. Das Beziehungsgeflecht zwischen Bild und Text vollzieht sich in unterschiedlichen Referenzebenen, deren Bogen auf semantischer Ebene von direktem Verweis bis zu völliger Zusammenhanglosigkeit reicht. Christoph Raffetseders Malerei bedeutet eine Beschäftigung mit der Wahrnehmung.
Ahnherr dieser Idee ist René Magritte, der mit seiner Arbeit „C ´est ne pas une pipe“, die strukturellen Prinzipien von Abbildung, Bild, Schrift und Wirklichkeit thematisierte und den linguistic- turn in der Philosophie vorwegnahm. Simplifizierung der malerischen Ausdruckmittel zur flächenhaften Erfassung großer Formen verbunden mit Textfragmenten als Versprachlichung des Prozesses von Verbildlichung illustrieren Wahrnehmungsmechanismen kulturell kodierter Bild- Wirklichkeiten; Christoph Raffetseder führt uns seine Interpretation der Willkürlichkeit der Sicht in einer zeitgemäßen Formulierung vor Augen.
Elisabeth Voggeneder